Der US-amerikanische Versandspezialist Amazon hat sich dank seines phänomenalen Logistiksystems zum vielleicht wichtigsten Wettbewerber des stationären Handels entwickelt – quer durch alle Sortimente. Nun soll im Herbst auch noch der Versand von frischen Lebensmitteln unter der Submarke „Amazon Fresh“ starten. Damit wächst auch der Druck auf den Lebensmittel-Einzelhandel, denn in Deutschland steckt der Online-Einkauf von frischen Produkten bislang noch in den Kinderschuhen.
Konzerne wie Edeka oder Rewe versenden zwar schon seit einiger Zeit auch Frischware, allerdings bleibt dies mittelfristig aufgrund der höheren Kosten für die Verbraucher eher noch ein Nischenschauplatz. Rewe beispielsweise liefert erst ab einem Mindestbestellwert von 40 Euro, hinzu kommt dann eine Lieferkostenpauschale von 3,90 Euro. Erst ab 120 Euro Einkaufswert gibt es die Ware frei Haus.
Ob die deutschen Konsumenten ihr Gemüse irgendwann lieber im Netz bestellen, wird sich zeigen. „Beim E-Commerce von Lebensmitteln kommt es vor allem darauf an, Vertrauen aufzubauen“, sagt Frank Rehme, CEO bei den Handelsexperten des GMV Team, Düsseldorf, und einstiger Innovationsmanager der Metro Future Stores. „Wir erleben sicherlich in näherer Zukunft preislich attraktivere Abo-Systeme und neue Convenience-Konzepte, etwa hinsichtlich der Lieferung ausgewählter regionaler Produkte.“
Für den Handelsexperten ist eines schon sicher: „Das Selbstverständnis des stationären Handels wird sich in den nächsten Jahren angesichts der Konkurrenz durch den E-Commerce komplett ändern.“
Der stationäre Handel wird zum sozialen Treffpunkt
Emotionalisierung des Einkaufs heißt der Zukunftstrend für den stationären Handel: Diverse Anbieter haben ihre Läden in den vergangenen Jahren bereits massiv zu Genusstempeln umgebaut. Selbst Aldi und Lidl entwickeln sich in diese Richtung. Edeka etwa errichtet im ehemaligen Kaufhof-Haus in Düsseldorf unter dem Namen „Crown“ derzeit einen innovativen Lebensmittel- und Gastronomie-Markt auf 12.000 Quadratmeter Fläche. Eine Sushi- und Grill-Station ist ebenso an Bord wie eine Eis-Manufaktur und ein Gourmet-Bistro.
Der Point of Sale werde mit solchen Angeboten zum „social hub“, so Rehme. „Warum geht denn jemand noch in den Laden? Weil er mir Mehrwert bietet. Der Handel muss praktisch wieder zurück zu ‚alten Werten‘ und die Menschen emotional aktivieren.“ Also ihnen ein Einkaufserlebnis vermitteln, sie mit reizvoll gestalteten Auslagen zum Verweilen und Verkosten einladen. Nicht zu vergessen die Beratung – hier entsteht das erhoffte „Nachbarschaftsgefühl“ ganz besonders.

Parallel zu dieser Entwicklung bringt die hohe Innovationsrate der Digitalisierung indes mehr und mehr unterstützende Technologie in den Einkaufsprozess. So stellt Deutschlands Handel derzeit sukzessive von Papier auf digitale Preisschilder um. Dies soll nicht nur Zeit und Kosten sparen, sondern zielt auf die Verknüpfung mit den Smartphones der Besucher per drahtloser Near Field Communication (NFC) ab. Damit können die Kunden Informationen zum Produkt abrufen, etwa über enthaltene Allergene. Aber auch zur Navigation im Markt lassen sich die digitalen Schilder nutzen, weil sie Standortinformationen abrufbar machen. Eine hauseigene App auf dem Mobiltelefon könnte die Besucher dann zum gewünschten Artikel lotsen.
Den „Supermarkt der Zukunft“ gar hat ein Joint Venture des IT-Konzerns Microsoft und der Beratungsgesellschaft Accenture ausgerufen. Die Verbraucher interagieren über gestengesteuerte Monitore an den Regalen. Zeigt der Kunde auf ein Produkt, erhält er eine Auflistung von Informationen – vom Inhaltsstoff über die Nährstoffwerte bis zum ökologischen Fußabdruck. Oder sogar, welche Produkte den betrachteten Artikel noch prima ergänzen würden.
Derlei Systeme bergen aber auch für die Händler ein hohes Optimierungspotenzial: Sie können auswerten, welche Produkte aus welchen Gründen gerne gekauft werden und welche nicht – und ihr Geschäft somit stärker an die wahren Bedürfnisse der Verbraucher anpassen.
Einkauf optimieren mit „Watson“ & Co.?
Künstliche Intelligenz wird uns bald begleiten. Der IT-Riese IBM hat ein kognitives System namens „Watson“ entwickelt, das den Einkauf grundlegend verändern soll. Es erkennt und interpretiert in Hochgeschwindigkeit die Präferenzen eines Kunden – so er sich dem System über einen personalisierten Zugang via Smartphone zu erkennen gibt. Berücksichtigt wird dabei auch der digitale Fingerabdruck, den er bereits im Netz hinterlassen hat, etwa in den sozialen Medien oder beim Online-Shopping.

„In Zukunft werden wir zunehmend digitale Assistenzsysteme erleben“, sagt Handelsexperte Rehme. „Wenn man den Menschen einen Mehrwert für ihre Daten bietet, sind sie auch bereit, sie preiszugeben. Etwa, wenn ein System beim Einkauf viel Geld sparen hilft.“ Der US-Outdoor-Spezialist The North Face hat bereits eine mobile App für die Produktsuche mit „Watson“ entwickelt.
Kaufen wir also irgendwann nur noch mit dem Smartphone in der Hand ein? Immerhin besitzen derzeit bereits 76 Prozent der Bundesbürger ab 14 Jahren einen solchen Alltagsbegleiter (Quelle: Bitkom). Die App-Entwickler werfen daher immer mehr Programme auf den Markt, die die Verbraucher beraten sollen – eine riesige Spielwiese für neue Geschäftsmodelle entsteht. Anwendungen, die nach dem Einkauf an der Kasse ein Profil anlegen und den Einkäufer immer wieder darauf zugreifen lassen – vielleicht schon bald nicht nur mit Empfehlungen zu Produkten, sondern zum Abgleich mit der eigenen Gesundheitsvorsorge. Ganz nach dem Motto: Du hast Bluthochdruck, dann enthält dieser Artikel zu viel Salz für Dich! Schließlich verstärkt sich der gesellschaftliche Trend zum „quantified self“ massiv, also zum täglichen Erkenntnisgewinn in Ernährung, Gesundheit oder sportlicher Betätigung.
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Der Handel verändert seine Ladenkonzepte angesichts der massiven Konkurrenz aus dem Netz zu Ereignisräumen. Der Konsument am Point of Sale wird über Emotion und Mehrwert gebunden und zur Wiederkehr angeregt.
Künstliche Intelligenz hilft uns künftig beim Einkaufen im stationären Handel. Der Verbraucher akzeptiert diese Hilfe, wenn er einen Mehrwert erkennt und gibt dann unter gewissen Voraussetzungen seine Daten preis.
Ohne Vertrauen beim Verbraucher kein Erfolg im E-Commerce. Neue Convenience-Konzepte und Abo-Systeme entstehen, müssen aber erst den Mehrwert-Check bestehen und preislich interessant sein.