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Von Panschern und Pionieren

Die Entstehung der Nestlé and Anglo-Swiss Condensed Milk Company

Werbeplakat für Nestlé Kondensmilch 

Wenn wir heute Milch trinken, sehen wir es als selbstverständlich an, dass sie keimfrei ist. Doch das war nicht immer so. Zwei Brüder aus den USA mussten nach Europa kommen, um Milch zu einem sicheren Lebensmittel zu machen – und trafen dabei auf Heinrich Nestlé.

Bis ins 19. Jahrhundert war Milch eine kostspielige Ware in europäischen Städten – und eine gefährliche dazu: Da es kaum Kühlmöglichkeiten gab, verdarb sie schnell und wurde so zum Träger von Keimen und Bakterien. Ebenso gab es nicht genügend Kontrollen zur Lebensmittelsicherheit, sodass viele Hersteller ihre teure Milch mit günstigen Zusatzstoffen wie Kalk oder Wasser streckten. Das Panschen war weit verbreitet und konnte negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Verbraucher haben (bis hin zum Tod).

Während dieser noch recht unkontrollierten Phase der Milchwirtschaft kam Charles Page 1865 als junger US-Vizehandelskonsul nach Zürich. Als er Kühe auf den weitläufigen, grünen Feldern der Schweiz weiden sah, erinnerte er sich an ein populäres amerikanisches Nahrungsmittel, das während des Bürgerkriegs an die Truppen der Nordstaaten ausgegeben wurde.

Europas erste Fabrik für Kondensmilch

Kondensmilch ist eine Erfindung des US-Amerikaners Gail Borden aus den 1850er-Jahren. Für die Verpflegung der Armee stellte sie sich als Quantensprung heraus: Während frische Milch schnell verdorben war, war Dosenmilch nahrhaft, transportabel und lange haltbar. Nach dem Bürgerkrieg explodierten die Verkaufszahlen.

George Page und Charles PageLinks: George Page, rechts: Charles Page

Charles Page hoffte auf eine ähnliche Erfolgsgeschichte in Europa und gründete 1866 die Anglo-Swiss Condensed Milk Company in Cham, Schweiz. Zur gleichen Zeit war sein Bruder George in den USA, um mehr über Gail Bordens Pionierarbeit in der Produktion von Kondensmilch zu erfahren. In dem Prozess wird die Milch erhitzt, damit ein Teil des enthaltenen Wassers verdampft. Dann wird Zucker als Konservierungsmittel hinzugefügt.

Ein Jahr später bauten die Page-Brüder Europas erste Fabrik für Kondensmilch in Cham und starteten die Produktion ihrer Marke Milchmädchen. Ihr Werbeslogan lautete: „Ours is the original condensed Swiss milk and the best. Every other kind is inferior.“ („Wir machen die originale und beste Schweizer Kondensmilch. Jede andere Sorte ist minderwertig.“)

Hohe Qualitäts- und Sicherheitsbestimmungen, eine moderne Fabrik, eine effiziente Distribution und eine kluge Vermarktung sorgten für den Erfolg des Produkts. 1868 verkaufte Anglo-Swiss schon 374.000 Kartons der Kondensmilch. Die größte Nachfrage bestand in Großbritannien und dessen Kolonien. Noch heute vertreibt Nestlé das Produkt, das einen großen Beitrag zur 150-jährigen Erfolgsgeschichte des Unternehmens leistete, unter dem Namen Nestlé Milchmädchen.

Die erste Fabrik für Kondensmilch in Cham 

Charles Page starb zwar bereits 1873. Sein Bruder George führte das Unternehmen jedoch noch bis 1891 und errichtete in der Zeit ein kleines Imperium mit zwölf Fabriken in Europa und den USA.

„Der General“ und seine revolutionäre Sichtweise

George Page, der auch „Der General“ genannt wurde, war die treibende Kraft hinter Anglo-Swiss. Er war ein sehr fortschrittlicher Manager, der schon früh verstand, dass wirtschaftlicher Erfolg auch mit einem verantwortungsvollen Verhalten zusammenhängt: gegenüber Lieferanten, Angestellten und der Gesellschaft.

  • Anglo-Swiss benutzte nur Milch von Kühen aus der Region.
  • Um die Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten, mussten die Bauern die Milch in extra gesäuberten Behältern anliefern.
  • Die Bauern erhielten für jede Lieferung eine vorab festgelegte Bezahlung.
  • Anglo-Swiss prüfte die Milch in einem Labor auf ihren Fettgehalt und ihre Reinheit.

Anglo-Swiss beriet die Bauern auch, damit sie die Qualität und die Produktionsmenge erhöhen konnten. George Page setzte sich zudem für fortgeschrittene Methoden zur Haltung und Fütterung des Viehs ein. Solch ein wissenschaftlicher Ansatz für die Milchwirtschaft war in den 1860er-Jahren noch extrem selten. Er entwickelte sich zu einem Vorläufer von Nestlés heutigem Milchdistrikt-Model.

374.000 Kartons Kondensmilch verkauft Anglo-Swiss 

Pages Verhalten dem Personal gegenüber war ähnlich revolutionär für die damalige Zeit: Anglo-Swiss-Mitarbeiter, die krank waren oder einen Arbeitsunfall hatten, erhielten trotzdem ihr Gehalt. Ebenso konnten sie einer freiwilligen Krankenversicherung beitreten. George Page baute in Cham Wohnungen für seine Mitarbeiter und einen Kindergarten.

Die gemeinsame Leidenschaft für Ernährung

Als fortschrittlicher Arbeitgeber hatte Page viel mit einem weiteren Schweizer Einwanderer gemeinsam: dem Deutschen Heinrich Nestlé. Nestlé besaß eine mindestens ebenso große Leidenschaft für Ernährung und soziale Gerechtigkeit, was ihn dazu inspirierte, die Farine Lactée Babynahrung zu erfinden, die er ab 1867 in Vevey herstellte.

Bauern liefern Milch für Anglo-Swiss an 

1878 traten Heinrich Nestlé und Anglo-Swiss in direkte Konkurrenz, da beide damit anfingen, eigene Varianten der Produkte des anderen zu vertreiben. Abgesehen von dieser Rivalität entwickelten sich beide Firmen gut, während viele andere Konkurrenten scheiterten. Durch ihre hohen Qualitätsstandards gewannen sie das Vertrauen der Verbraucher.

Um zu noch größerem Erfolg zu gelangen, schien eine Unternehmensfusion sinnvoll. George Page stand dem Zusammenschluss jedoch kritisch gegenüber. Erst sechs Jahre nach seinem Tod – 1905 – wurde die Fusion beschlossen, und die Nestlé and Anglo-Swiss Condensed Milk Company entstand. Der Rest ist Nestlé-Geschichte.

Bildrechte: Nestlé Deutschland AG

Ein Nestlé-Mitarbeiter prüft Milchkartons

Die gute Milch

Milchbauern in Drittweltländern wie Indien oder Pakistan können durch die Partnerschaft mit Nestlé ihre Produktion deutlich steigern: Durch Ankauf und Verarbeitung von Rohstoffen aus der Region belebt das Unternehmen die Wirtschaft.

Heinrich Nestlé schaut auf eine Packung Kindermehl.

150 Jahre Nestlé

Von der Säuglingsnahrung über Nescafé bis hin zu Callier: Seit 1866 hat Nestlé, inspiriert von der Leidenschaft für Ernährung, wissenschaftsbasierte Produkte entwickelt, die das Leben vieler Menschen verbessert und sogar manche gerettet haben.